Die Frau, die sie die stemplerin nennen

In Frankreich gehen die Uhren langsamer als in Deutschland. Dessen wird man sich vor allem in der Schlange an der Supermarkt-Kasse bewusst. Einfach unglaublich wie langsam die Kassiererinnen die Artikel über den Scanner ziehen, welche Gelassenheit sie dabei ausstrahlen und auch überhaupt nichts dabei finden, ihre Arbeit mal für eine Minute ruhen zu lassen, um sich mit der Kollegin oder einem Kunden zu unterhalten. Einfach unglaublich ist auch, dass es in Frankreich noch möglich ist mit Cheque zu bezahlen und das auch extensiv in Anspruch genommen wird. Nein, der Einkauf wird nicht mit Karte bezahlt, das Cheque-Heftchen wird gezückt. Fein säuberlich wird der Cheque heraus getrennt, in aller Ruhe ausgefüllt, der Kassiererin überreicht, die den Cheque durch die Kasse jagt, dem Kunden zur Kontrolle zurückreicht, dieser dann unterschreibt und den Cheque zusammen mit dem Personalausweis der Kassiererin zurück gibt, die den Cheque ein weiteres Mal durch die Kasse jagt, worauf aus der Kasse mehrere Zettel und Bons herauskommen, während die Kassiererin in dieser Zeit sich die Personalausweisnummer des Kunden auf der Rückseite des Cheques notiert und schließlich den Personalausweis zusammen mit dem Zettelwust dem Kunden zurückreicht. Der Kunde beginnt übrigens normalerweise erst jetzt damit, seine Einkäufe wieder einzupacken, obwohl er die ganze Zeit tatenlos neben der Kassiererin stand. Die Kassiererin wartet ebenfalls bis der Kunde alle seine Einkäufe wieder in seinem Einkaufswagen verstaut hat, bevor sie in den nächsten Kunde bedient.
Daran muss man sich als ERASMUS-Student erst einmal gewöhnen. Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch gut, dass die Kassiererinnen sich auch Zeit lassen können und nicht wie bei Aldi gezwungen sind mindestens hundert Artikel pro Minute über den Scanner zu ziehen. Dennoch, zumindest die Cheques könnte man echt mal abschaffen in Frankreich.

Insofern verwundert es auch nur wenig, dass in der Mensa auf dem Campus das Bezahlen ebenfalls etwas komplizierter ist, als man das vielleicht aus Deutschland kennt. Mensakarten im Chipkartenformat, die man an Automaten unkompliziert mit Geld aufladen kann und die dann an der Kasse ein unkompliziertes Bezahlen ermöglichen? Doch nicht in Frankreich. Hier existieren noch Essensmarken, die man sich bei einer Mensa-Angestellten in einem kleinen Kabuff kaufen muss. (Das Kabuff hat übrigens die denkbar ungünstigsten Öffnungszeiten: Es schließt genau dann, wenn für die Studenten die Vorlesungen aufhören und alle essen wollen.) Für eine Essensmarke bekommt man ein gesamtes Essen (Vorspeise, Hauptgericht, Nachspeise, plus gratis Leitungswasser). Fragt mich bitte nicht, was passiert, wenn man - für den kleinen Hunger zwischendurch - mal nur einen Salat essen möchte. Für eine Essensmarke gibt es nun mal ein gesamtes Essen, dazwischen gibt es nichts.
Mit seinem Essen und der Essensmarke in der Hand kommt man dann letzten Endes zu der Frau, deren Job darin besteht, die gelben Essenmarken einzusammeln und auf der Rückseite mit einem eigens dafür vorgesehenen Stempel zu abzustempeln, also zu entwerten. Das alles ist so herrlich umständlich, ich bin jedes Mal aufs neue verblüfft, wenn ich an der Frau mit dem Stempel vorbeikomme.
Für mich ist die Frau mit dem Stempel das Sinnbild schlechthin für den unglaublich aufgeblähten, maßlosen öffentlichen Beschäftigungssektor in Frankreich.* Und da ist natürlich auf einmal alles klar: Würde es in der Mensa praktische Chipkarten zum Bezahlen geben, wären die Verkäuferin im Kabuff und die Frau mit dem Stempel arbeitslos. Und Ideen, die auf einen Abbau der öffentlichen Beschäftigung abzielen sind Frankreich absolut tabu (wenn man seine politischen Ambitionen nicht aufgeben möchte). Sollte eines Tages der Arbeitsplatz dieser zwei Frauen tatsächlich gefährdet sein, wird ganz Grenoble in den Streik treten, alle Studenten werden hungern müssen und in der ganzen Stadt werden wochenlang alle Räder still stehen. Das kann niemand ernsthaft wollen. Insofern gebe ich gerne meine Essensmarke bei der Frau mit dem Stempel ab.


* Ein anderes Beispiel: Fahrkartenkontrollen in der Tram werden stets von einem Pulk von sieben bis acht Kontrolleuren durchgeführt. Zwei kontrollieren die Fahrscheine, die anderen lümmeln in der Tram rum und reißen Witze. Wenn man an der Tramhaltestelle einen solchen Männerpulk herumstehen sieht, steigen die Schwarzfahrer natürlich aus. Auch hier gilt natürlich die 35-Stunden-Woche: Nach vier Uhr nachmittags gibt es keine Kontrollen mehr.
McPomm - 1. Dez, 21:03

Ein Hauch von Romatik - oder Zeitreisen schon heute

Die Geschichte im Supermarkt hat doch wirklich etwas von der alten Zeit.
Zu Beginn der 1990er hat mir mein damaliger Französichlehrer von der Liebe der Franzosen zum Check erzählt. Dass das heute noch so ist, ist schon erstaunlich und auch bewundernswert. Sie halten Traditionen hoch und bleiben in stressigen Situationen lässig!
Als ich im September in Sété war, war die nette Frau im Supermarkt recht fix, allerdings haben dort alle in bar bezahlt.

Eine Wertmarke für´s Essen hat doch einen gewissen DDR-Touch, oder? Aber lieber so, als hungern...

Viele Grüße
Tim

phlip - 2. Dez, 10:40

Geht mir ähnlich ...

... hier in Polen. An der Kasse des - bezeichnenderweise französischen ;-) - Supermarktes ist vor allem Geduld gefragt. Nur nicht zu schnell, könnte ja vorwärtsgehen. Aber auch sollte man ein wenig Verständnis heucheln, denn immerhin werden die Frauen ziemlich schlecht bezahlt und haben verdammt lange Arbeitszeiten. Nur wenn jemand wegen 31,45 Zloty (ca. 8 Euro) seine EC-Karte zückt reißt der Geduldsfaden irgendwann mal. Aber dafür können ja immerhin die Kassiererinnen nichts.
Aber schön zu wissen, dass es in Frankreich manchmal auch so was gibt ...

Gruß
Philipp

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